Veröffentlicht am: 24.11.2023 um 16:42 Uhr:
Fotografie: Eisberg
» Warum wollen eigentlich plötzlich alle Eisberge fotografieren? Dieser Tage tauchen die weißen Riesen derart häufig unter den Einsendungen von Natur- und Reisefotowertbewerben wie TPOTY auf, dass man meinen könnte, die Tui oder andere Großzulieferer hätten mittlerweile schwimmende Bettenburgen in deren unmittelbarer Nachbarschaft verankert. Der Eisberg ist jetzt quasi eine Art „Elefant des hohen Nordens“, Früher sehnte sich der Naturfotograf mit Instinkt für verwertbare Bildtrophäenen nach Afrika. Einmal dort aus dem Safari-Jeep seine „Big Five“ ablichten! Selbst in die Fotokunst zogen Nick Brandts und Peter Beards Dickhäuter ein. Elefantenbilder haben es auf Edelmessen wie Paris Photo geschafft. Dem Eisberg ebneten hingegen Fotografen wie Olaf Otto Becker erst etwas später den Weg in die Kunst. Tatsächlich sehen Eisberg-Fotos an der Wand in ihrer Reduktion auf Form und Farbe imposanter aus als die meisten Tierportraits, die uns allzu oft an Illustrationen aus Brehms Tierleben erinnern.
Heute sitzen die ambitionierten Knipser also lieber auf dem Eis - solange es das noch gibt.
Statt auf Elefanten zoomen sie auf die kalten, weißen Wände im blaugrünen Wasser, auf dieses archaische Weiß, alt, rein und imposant.
Ihre Faszination gilt dem schmelzende Relikt aus einer anderen Zeit, das zum traurigen Symbol des Klimawandels geworden ist. Hier, vor dem tropfenden Naturklotz, bekommen wir letzte Formen des (bislang) unberührt die Zeit Überdauernden vermittelt, in denen doch zugleich der rasante Wandel erkennbar ist. Wir reisen in die Ferne und verdrängen, dass zu Hause die verbleibende alpine Gletscher(rest)welt noch schneller schrumpft und schwindet. Vielleicht ist der Eisberg das perfekte Symbol unserer Zeit. Wir erkennen stets nur das Herausragende, die Spitze des Problemfeldes, sozusagen. Was uns verborgen, bleibt, verdrängt die Menschheit gerne. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob der Tourismus mit diesen schmelzenden Bergen wirklich massenkompatibel ist. Wie gesagt: Wertbewerbsfotos von Eisbergen gibt es mittlerweile ohnehin genug. «
Quelle: Kolumne "Zollners Zeilen" im fotoMAGAZIN 8/2018