Veröffentlicht am: 21.08.2023 um 07:05 Uhr:

Bundesregierung: Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier bei einem Bankett, gegeben von Großherzog Henri und Großherzogin Maria Teresa von Luxemburg

Bei einem Bankett, gegeben von Großherzog Henri und Großherzogin Maria Teresa von Luxemburg hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier am 10. Juli 2023 in Luxemburg folgende Rede gehalten...

» Herzlichen Dank für den freundlichen Empfang in Ihrem Großherzogtum, Königliche Hoheiten, und für die Gastfreundschaft, die Sie uns entgegenbringen! Ich freue mich, dass ich viele bekannte Gesichter hier im Raum sehe, dass ich den einen oder anderen wiedersehe, und vor allen Dingen darüber, dass wir während unserer zwei Tage hier in Luxemburg neue Freunde kennenlernen. Meine Frau und ich freuen uns, heute bei Ihnen hier in Luxemburg zu sein, wo der europäische Geist so spürbar ist wie in kaum einem anderen Land. Unsere Länder sind seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden. Wir sind uns unendlich nahe!

Diese Nähe entspringt auch unserer gemeinsamen Geschichte: Es waren auch Luxemburger, die über lange Zeit die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches lenkten und dem mittelalterlichen Reich mit der Goldenen Bulle sein wichtigstes Verfassungsdokument gaben. Luxemburg, das ist auch für uns Deutsche das Herz Europas. Das liegt nicht nur daran, dass wesentliche Institutionen der Europäischen Union hier angesiedelt sind, nicht nur daran, dass Mehrsprachigkeit bei Ihnen zum guten Ton gehört und dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit luxemburgischer Alltag ist. Es liegt vor allem an den Menschen hier. An jenen, die schon immer hier waren, und an jenen, die tagtäglich dazukommen. Menschen aus mehr als 170 verschiedenen Nationen leben hier, so viele wie in keinem anderen europäischen Land. Aus gutem Grund wurde 1986 das luxemburgische Volk, wurden erstmals die Bürgerinnen und Bürger eines Landes mit dem Karlspreis ausgezeichnet – als Vorbilder und als Vorkämpfer für die europäische Einigung.

Es ist ja im besten Sinne des Wortes „naheliegend“, dass Sie hier in Luxemburg auf europäische Zusammenarbeit, auf Kooperation setzen. Die Wege sind kurz, und ich bin überzeugt, es erweitert den eigenen Horizont, wenn die Grenze zum Nachbarn stets nur wenige Kilometer entfernt ist. Diese Nähe ist jedoch nicht nur geografisch, sondern Sie hier in Luxemburg, Sie leben diese Nähe, Sie füllen sie mit großer Menschlichkeit.

Besonders eindrücklich zu spüren war das vor zwei Jahren nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, auf unserer Seite der Grenze, in Deutschland. In einer einzigen Nacht starben dort 135 Menschen, wurden Häuser und Lebensträume zerstört, versank die eigene Heimat, das eigene Zuhause in den Fluten. Und obwohl auch Luxemburg damals selbst schwer mit den Fluten der Sauer zum Beispiel zu kämpfen hatte, wurden umgehend von hier aus Rettungsteams nach Deutschland entsandt. Ich bin dankbar für die Unterstützung durch die Luxemburgerinnen und Luxemburger, und ich weiß, im Ahrtal bleibt ihr Einsatz unvergessen.

Ich war gerade dort und konnte mich mit eigenen Augen von der Tatkraft und der Zuversicht der Menschen überzeugen, die sich nicht haben unterkriegen lassen, die gemeinsam angepackt haben, um ihr Zuhause, ihre Heimat wieder aufzubauen. Die Flut hat Spuren hinterlassen. Aber geblieben ist – und immer bleiben wird – auch die Erinnerung an die grenzüberschreitende Hilfe. Hier sah man sie, diese „Solidarität der Tat“, von der Robert Schuman einst meinte, dass sie Europa zusammenwachsen lässt.

Es waren Visionäre wie Schuman, selbst gebürtiger Luxemburger, die an ein Europa glaubten, vereint in Frieden und verbunden in Vielfalt. Und die nicht nur daran glaubten, sondern eine Biographie lang dafür gearbeitet haben. Welch Mut, welche Weitsicht, nur wenige Jahre, nachdem Nazi-Deutschland ganz Europa mit seinem Terror überzogen hatte!

Die Gründerväter der Europäischen Union knüpften an eine Idee an, die bereits vor 175 Jahren viele Menschen auf unserem Kontinent elektrisierte: die Idee von Demokratie und Freiheit, von einem in Frieden verbundenen Europa. Schon vor 175 Jahren, im europäischen Völkerfrühling von 1848, sind überall Menschen dafür auf die Straßen gegangen: in den Staaten des damaligen Deutschen Bundes, in Italien, Ungarn und Polen – und auch in Luxemburg. Von diesem gemeinsamen europäischen Geist zeugt nicht zuletzt Luxemburgs Verfassung von 1848, die wir, Königliche Hoheit, heute gemeinsam in einer Ausstellung im Luxemburger Nationalarchiv besichtigt haben.

Es gibt dieses luxemburgische Motto, wir haben es heute schon gehört: „Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“ – aber gerade, wenn wir bleiben wollen, was wir sind, müssen wir uns verändern. Wir müssen anders denken, anders handeln.

Weil wir nicht zulassen können, dass in Europa ein souveräner Staat mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen wird; weil wir die Menschenrechte und die Unverletzlichkeit von Grenzen schützen, unterstützen wir gemeinsam die Ukraine in ihrem Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit, politisch, finanziell, humanitär – und, wie Sie wissen, auch militärisch.

Weil wir wollen, dass die Arbeiter von heute auch morgen noch gute Jobs haben; weil wir starke, erfolgreiche Volkswirtschaften in der Mitte Europas bleiben wollen, modernisieren wir unsere Energieerzeugung und wollen bis Mitte des Jahrhunderts vollständig klimaneutral sein. Weil wir unsere Heimat, unser Zuhause bewahren wollen, weil wir wollen, dass unsere Wälder grün und die Flüsse und Seen voller Wasser bleiben, engagieren wir uns gemeinsam für den Schutz unseres Klimas.

Diese Veränderungen zu gestalten, das ist auch Ihnen, Königliche Hoheit, ein Herzensanliegen. Sie setzen sich seit vielen Jahren für Artenvielfalt und Klimaschutz ein – auch weit über Luxemburgs Grenzen hinaus. Und Sie nehmen die Wirtschaft in die Pflicht: „Der Pioniergeist ist unerlässlich“, haben Sie gesagt, „um eine effizientere, sauberere, gerechtere und nachhaltigere Welt (…) zu gestalten.“ Sie glauben an Zusammenarbeit und Fortschritt – um zu bewahren, was wir sind.

„Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“ – diese luxemburgischen Worte verstehen auch alle Nichtluxemburger. Und darum sollten wir uns Luxemburg als Vorbild nehmen: ein Land, das Mehrsprachigkeit und Offenheit lebt. Ein Land, in dem die Welt nicht nur zu Gast, sondern zu Hause ist. Ein Symbol für Freiheit, für Vielfalt, für Fortschritt.

Und weil das so ist, möchte ich Sie herzlich bitten, Ihre Gläser zu erheben und mit mir auf das Wohl Ihrer Königlichen Hoheiten anzustoßen. Auf Ihr Wohl und auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern! «


Quelle: Bulletin 82-1 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 12. Juli 2023

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