Foto-Recht

Trainwriting in Berlin

Schutz der Rechte von Grundstückseigentümern oder Meinungs- und Informationsfreiheit? Ein neues Berliner Urteil stärkt die Rechte von Bildjournalisten

TEXT DR. ENDRESS WANCKEL


Ein neues Berliner Urteil erleichtert die Arbeit der Bilderbranche: Die Veröffentlichung von Aufnahmen, die auf fremden Grundstücken entstanden sind, kann unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen des Eigentümers zulässig sein. In dem so vom Kammergericht Berlin in zweiter Instanz entschiedenen Prozess ging es um Aufnahmen auf dem Gelände der Berliner Verkehrsbetriebe. Diese wollten den Verkauf einer DVD stoppen, auf der gezeigt wurde, wie Sprayer auf das Betriebsgelände eindringen und Züge mit Graffiti bemalen. „Trainwriting‘“ nennt die Szene das, was Juristen profan als Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch bezeichnen, jährlich Kosten in Millionenhöhe verursacht und so die Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs in die Höhe treibt. Dieser Aspekt des nächtlichen Katz- und Mausspiels zwischen Sprühern und Wachleuten spielte auch bei der Entscheidung des Gerichts eine Rolle: es sah die Aufnahmen als Teil einer Dokumentation über „Missstände von erheblichem Gewicht“ an. Die Veröffentlichung des Materials sei deshalb von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt und unterfalle dem Recht auf freie Berichterstattung über Vorgänge von öffentlicher Bedeutung (Art. 5 GG). Das Interesse der Verkehrsbetriebe, die Verbreitung der Aufnahmen zu verhindern, sei von geringerem Gewicht und müsse daher zurücktreten (KG Berlin, Az. 10 U 136/12).

Grundsätzlich bleibt es aber auch nach dem Berliner Urteil bei den strengen Regeln, die der Bundesgerichtshof 2011 in seinen umstrittenen „Sanssouci-Entscheidungen“ aufgestellt hat: Es ist zwar erlaubt, von öffentlichem Grund in ein fremdes Grundstück hinein zu fotografieren, sofern dadurch nicht die Privatsphäre verletzt wird, wie es z. B. bei Gärten von Privathäusern der Fall ist. Wenn die Aufnahmen jedoch von einer Position auf dem Grundstück hergestellt wurden, muss der Eigentümer vor der Veröffentlichung, insbesondere bei jeder kommerziellen Nutzung, um Erlaubnis gefragt werden. Streng genommen muss dort der Eigentümer sogar schon zustimmen, bevor die Kamera betätigt wird.

Das Berliner Urteil zum „Trainwriting“ beschäftigt sich nur mit der Verbreitung der Aufnahmen. Die Frage, ob die Herstellung der Bilder rechtmäßig war, blieb vom Gericht unentschieden, weil die Beklagten die Aufnahmen zugespielt
bekommen hatten. Die Urheberschaft blieb unklar. Es liegt nahe, zu vermuten, dass sich die Sprayer bei ihren Einsätzen selbst gefilmt hatten und die Aufnahmen daher unter Hausfriedensbruch — somit rechtswidrig — entstanden waren. Dies allein begründe jedoch angesichts der öffentlichen Bedeutung der Dokumentation kein Recht, die Veröffentlichung der Aufnahmen zu untersagen, urteilte das Gericht. Da in der jüngeren Rechtsprechung an die „öffentlichen Informationsinteressen“ keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden, definiert der Berliner Richterspruch eine in der Praxis bedeutsame Erweiterung der Betätigungsfreiheit von Bildschaffenden.

Dr. Endress Wanckel (45) ist Rechtsanwalt und Partner der Hamburger Kanzlei Frömming Mundt & Partner. Er ist seit über 15 Jahren u. a. im Foto- und Medienrecht tätig und Autor des Fachbuches „Foto- und Bildrecht“ (4. Auflage, Verlag C.H. Beck).

Quelle: fotoMagazin 08/2013